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Jonas Blondal - Titel
 


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Themen-Index
Hier gelangen Sie direkt zu den folgenden Unterthemen:
  1. Die Erfindung
    der Harpunenkanone
 
  2. Von der Jagd zum Gemetzel  
  3. Die traurige Zwischenbilanz  
  4. Schutzmaßnahmen  
   
 


Der Norweger Svend Foyn
aus
Tønsberg entwickelte 1864 die
Harpunenkanone und läutete damit
das Zeitalter des industriellen
Walfangs ein. Auf Dampfschiffen
eingesetzt, ermöglichte die neue
Technik nun auch die Jagd auf
schnell schwimmende Furchenwale:

Blauwale gehören ebenso dazu ...

 
 


... wie Buckelwale
und andere
Arten. Allein im letzten Jahrhundert
wurden mehr als zwei Millionen
Großwale erlegt. Der Mensch hat fast alle kommerziell genutzten Großwalarten nahezu ausgerottet.
Vom Blauwal gab es einst über
250 000 Exemplare. Heute mögen
es gerade noch 1000 sein

 

Das Kapitel des neuzeitlichen Walfangs ist noch nicht abgeschlossen. Eine Zusammenfassung ist daher unmöglich. Es wäre fast so, als wolle man Rückblick auf einen Krieg halten, der noch nicht beendet ist. Allenfalls kann also Zwischenbilanz gezogen werden. Eine Zwischenbilanz, die den weiteren Verlauf der Entwicklungen erahnen lässt – mitsamt den hohen Verlusten, die der „Krieg” des modernen Walfangs fordert.
„Walfang heute” lautet die Überschrift zu diesem Abschnitt. Doch ab welchem Zeitpunkt kann hier überhaupt von „heute” gesprochen werden? Wann hörte der Walfang auf, „historisch” zu sein und „neuzeitlich” zu werden? Darüber lässt sich streiten. Doch selbst, wenn diese Frage unbeantwortet bleibt, hat doch ein Ereignis so entscheidenden Einfluss auf die Entwicklungen im Walfang gehabt, dass es als Beginn einer neuen, einer neuzeitlichen, Ära betrachtet werden kann:



1. Die Erfindung der Harpunenkanone 

Ob Walfänger erfolgreich waren oder nicht, hing zu allen Zeiten auch von der eingesetzten Technik ab. Der technische Fortschritt ermöglichte oft nicht nur bessere oder verfeinerte Fangmethoden, sondern brachte gelegentlich sogar die Erschließung gänzlich neuer Jagdgründe mit sich (siehe hierzu auch unter Thema Walfangüber den historischen WalfangDie Jagd auf Döglinge).

Das wohl einschneidendste Ereignis in dieser technischen Entwicklung war und ist die Erfindung der Harpunenkanone im Jahr 1864.

Wenngleich man schon zuvor diverse Versuche unternommen hatte, den Meeressäugern mit Sprengkraft beizukommen, gelangte die neue Technik erst in jenem Jahr zur „Serienreife”. Der Erfinder hieß Svend Foyn. Er war Norweger.
Mit seiner Idee, die Harpunenkanone auf Dampfschiffen einzusetzen, revolutionierte er nicht nur die gängige Fangmethodik an sich; tatsächlich läutete Foyn mit seiner Erfindung das Zeitalter des industriellen Walfangs ein. Nun konnten zum ersten Mal auch die schnellen Furchenwale, die „starken Wale”, wie Foyn sie nannte, gejagt werden – ein Unterfangen, das mit Ruderbooten, Handharpunen und anderen althergebrachten Methoden bis dahin unmöglich war. Zum einen waren diese Tiere zu schnell für die damaligen Fangschiffe, zum anderen fingen sie nach ihrem letzten Atemzug an zu sinken, was im Normalfall jeden Versuch einer Bergung vereitelte.

Mit der Einführung der Harpunenkanone waren diese Zeiten endgültig vorbei. Nun konnten die tödlichen Geschosse direkt von Bord der schnellen und wendigen Dampfer abgefeuert werden. Groß und schwer, wie diese Schiffe waren, war auch das Absinken des am Boot „festgemachten” Kadavers nicht mehr hinderlich. Damit war das Feuer auf all jene Walarten eröffnet, die bis dahin ihre Ruhe hatten: Blau-, Finn-, Bryde- und Buckelwal ebenso wie Sei-, Zwerg- und Grauwal – um nur einige zu nennen.

 

2. Von der Jagd zum Gemetzel

Der rasante technische Fortschritt seit den Tagen Foyns ließ den modernen Walfang binnen kurzem zu einer Massenschlächterei werden, die ihresgleichen sucht.
Einst galt dieses Handwerk dem Überleben, diente den Küstenbewohnern als echte Nahrungsgrundlage und hatte gewissermaßen sogar den Charakter einer fairen Auseinandersetzung: Aufgrund der vergleichsweise primitiven Fangmethoden setzten sich die Wale nicht selten erfolgreich zur Wehr und konnten ihren Jägern dadurch auch wieder entkommen.

Von sinnvoller Nutzung der natürlichen Ressourcen konnte im Walfang jedoch schon bald keine Rede mehr sein. Auch wenn das Problem der Überfischung bereits zu Zeiten des Baskenwalfangs ernste Formen annahm, hat die Dezimierung der weltweiten Walbestände tatsächlich erst durch die aufkommende Fangindustrie der Neuzeit dermaßen bedrohliche Ausmaße angenommen, dass der Fortbestand vieler Walarten heute in Gefahr ist. Gegen riesige Fabrikschiffe mit elektronischen Ortungssystemen, zielgenauen Harpunenkanonen und Granatsprengköpfen, die im Körper des Beutetiers explodieren, haben die friedlichen Meeressäuger keine Chance.

Zudem dehnten sich die Fanggebiete immer weiter aus. Bald gab es kein Gewässer mehr, in dem Wale noch sicher gewesen wären – nicht einmal in der Antarktis. 1910 gab es in diesem Bereich bereits sechs Walkochereien, 14 Fabrik- und 48 Fangschiffe. In jenem Jahr wurden über 10 000 Tiere erlegt. 1925 nahm das erste Walkochereischiff seinen Dienst auf, das seine Beute sogleich über eine Heckrampe an Bord zog und vollständig verarbeitete. Um 1930 gab es schon über 40 solcher ›Mutterschiffe‹. Allein zwischen 1925 und 1930 wurden über 75 000 Blauwale auf den Decks dieser „schwimmenden Kochereien” zerlegt.

Die folgenden Szenen wurden von dem deutschen Matrosen Paul Bauer fotografiert, der zwischen 1937 und 1939 als Jugendlicher auf den Fangschiffen der ›Unitas‹ mitarbeitete. Die Fangflotte des britisch-holländischen ›Unilever‹-Konzerns lief in jenen Jahren unter deutscher Flagge in die Antarktis aus

Ein Blauwal-Bulle liegt abgespeckt
auf dem Deck (oben). Angesichts
einer Penislänge von über 1,50 m ist
die Geschlechtsbestimmung keine
sehr schwierige Aufgabe

Durch die ›Slip‹ wird die Beute an
Bord der Fabrikschiffe gezogen
(unten). Die ›Heckaufschleppe‹
wurde 1925 von Norwegern erfunden

Das ›Knochen- oder Schlachtdeck‹
des Mutterschiffs ›Unitas‹ (oben):
Hier wurden die erbeuteten Tiere in
ihre Einzelteile zerlegt. Rechts ist das
Rückgrat eines Wals zu sehen. Der
Gestank an Bord lässt sich erahnen

Ein Arbeiter sitzt im Maul eines
Blauwals (unten). Die Zunge ist
bereits herausgeschnitten worden

Der Pottwal (links) kann bis zu einer
Stunde unter Wasser bleiben, und
taucht bis in 3000 Meter Tiefe. Wie er
den Druckdifferenzen standhält, ist
noch nicht völlig erforscht. Vielleicht
spielt das ›Walrat‹ dabei eine Rolle –
eine cremige Substanz im Kopf der
Tiere. Diese wurde einst irrigerweise
für Sperma gehalten, weshalb der
Pottwal auch ›Spermwal‹ heißt

 

Auf dem Rücken schwimmend
scheint dieser Buckelwal fast zu
lächeln – doch dazu gäbe es wenig
Grund: Auch diese Wale sind selten
geworden. Ihr Bestand auf der
Südhalbkugel wird auf höchstens
4000 Tiere geschätzt

 
 

Schrott am Südpolarkreis: Noch
heute zieren verrostete Tranöfen
die ›Whaler’s Bay‹ auf ›Deception
Island‹ nahe der Antarktischen
Halbinsel. Zeitweise sollen in der
›Forster Bay‹ mehrere tausend
Walkadaver getrieben sein, da nur
das Fett der Tiere verwertet wurde

 
 


Grytviken auf Südgeorgien:
Auch hier wurden Schiffe und
anderes Fang-Equipement einfach
zurückgelassen – Aufräumen
bringt keinen Profit ein ...

 
 

Ein toter Seehund. Der Mensch
zerstört weiterhin den Lebensraum
unzähliger Meeresbewohner

 


3. Die traurige Zwischenbilanz

Gemäß sorgfältigen Schätzungen wurden zwischen 1890 und 1990 über 2,7 Millionen Wale erlegt. Das bedeutet: Bis heute ist es dem Menschen durch Walfang und Meeresverschmutzung „gelungen”, 90 bis 95 Prozent des Bestands der meisten kommerziell genutzten Walarten zu vernichten. Andere Arten, beispielsweise der Atlantische und der Koreanische Grauwal sowie der Biskayawal, sind bereits ausgerottet worden. Der derzeitige Bestand an Blauwalen wird auf weniger als 5000 Exemplare geschätzt. Noch schlechter steht es um die Kaperwale: Vielleicht gibt es weltweit nicht einmal mehr 1300 Tiere – vom ›right whale‹ zum „raided whale” ...

Selbst, wenn kein einziger Wal mehr geschossen würde, bliebe der Fortbestand der gegenwärtigen Populationen bedroht. Teils sind durch die erbarmungslose Jagd so starke Ungleichgewichte in der Geschlechterverteilung entstanden, dass viele der noch lebenden Tiere keinen Partner finden werden. Die Verschmutzung der Meere sowie der rücksichtslose Einsatz von Treibnetzen tun schließlich ihr Übriges, sodass laut Angaben der ›Internationalen Walfang-Kommission‹ IWC jährlich noch immer über 300 000 Wale, Tümmler und Delfine eines unnatürlichen Todes sterben.

Diese Fakten sind an sich schon tragisch. Schier unbegreiflich werden sie jedoch vor dem Hintergrund, dass es heute kein einziges Walerzeugnis mehr gibt, das nicht durch alternativ gewonnene Stoffe ersetzt werden könnte. Jojobaöl, synthetische Schmiermittel und Kunststoffe haben Walrat, Ambra oder Fischbein als Rohstoff längst überflüssig gemacht.

Wozu werden Wale dann noch immer abgeschlachtet? Von international zugebilligten Subsistenz-Fängen einmal abgesehen, zu „wissenschaftlichen Zwecken”, wie es immer wieder heißt. Tatsache ist jedoch, dass sich das Fleisch der Tiere öfter als teure Delikatesse auf japanischen Tellern wiederfindet als im Labor. Oder, wie jüngst auf der 55. Sitzung der IWC verlautete, in Tierfutterdosen ...


4. Schutzmaßnahmen 

Am 2. Dezember 1946 wurde die ›Internationale Walfang-Kommission‹ IWC ins Leben gerufen, kurioserweise zunächst als Interessenvereinigung verschiedener Walfangnationen. Zweck des Zusammenschlusses war die Regulierung internationaler Fangquoten – in erster Linie jedoch nicht, um die Wale, sondern vielmehr die Interessen der Fangindustrie zu schützen. Gegenwärtig gehören 49 Staaten der IWC an; die Bundesrepublik Deuschland ist seit 1982 Mitglied.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die IWC immer weiter in Richtung Artenschutz orientiert. Fangbeschränkungen wurden kontinuierlich verschärft, die zulässigen Quoten entsprechend reduziert. Dennoch blieb ihr Einfluss auf das Verhalten unkooperativer Walfangnationen bis heute eher gering – in Ermangelung von Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten. Beispiel ›Moratorium‹ der IWC: Dieses Verbot wurde 1982 beschlossen und trat 1986 in Kraft. Obwohl der kommerzielle Walfang dadurch international untersagt wurde, nahmen Nationen wie Japan, Norwegen, die damalige UdSSR, Korea und Island schon bald den Walfang wieder auf. Norwegen missachtet diesen Beschluss noch heute. Erst 1993 nahmen norwegische Walfänger – nach zeitweiliger Unterbrechung – ihre Tätigkeit von neuem auf. Bis heute werden hier insbesondere die Bestände an Minkewalen ins Visier genommen.

1973 haben 121 Staaten das ›Washingtoner Artenschutz-Übereinkommen‹ (CITES) ratifiziert, das auch den Im- und Export von Walerzeugnissen verbietet, doch bleibt Tatsache, dass allein zwischen 1946 und 1986 mehr als 1,7 Millionen Wale getötet wurden – ein nicht geringer Teil davon nach der Ratifizierung des CITES-Vertrags.

Gegenwärtig sind vor allem private Organisationen um den Schutz der letzten Walbestände bemüht. In den vergangenen Jahren ist es denn auch gelungen, die bedrohliche Situation dieser Meeressäuger mehr und mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. ›Greenpeace‹ hat dazu ebenso beigetragen wie der ›World Wildlife Fund‹ (WWF), die deutsche ›Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere‹ (GSM), der ›Internationale Tierschutz-Fonds‹ (IFAW), das ›Sea Life Resources Institute‹, die ›International Union for Conservation of Nature and Natural Resources‹ (IUCN) und andere Vereinigungen.

1992 bestätigten die Mitglieder der IWC auf einer Konferenz erneut das bestehende Moratorium. Auch das Europäische Parlament formulierte wiederholt Resolutionen, die alle IWC-Mitgliedsstaaten sowohl zur Einhaltung des Moratoriums als auch zur Schaffung entsprechender Sanktionsmöglichkeiten aufforderten.

Aber auch abseits politischer Wege erschließen sich Möglichkeiten, zum Schutz der Wale beizutragen. Bücher, Ausstellungen, Fernsehberichte (und sogar Comics ;->) können den Sinn für die Notwendigkeit nachhaltigen Handelns schärfen. Noch unmittelbarer: Über sogenannte ›Whale Watching‹-Programme wird Menschen die Gelegenheit geboten, die erstaunlichen Meeresgiganten aus nächster Nähe zu erleben, sie zu berühren, zu streicheln, ihnen in die Augen zu sehen. Solch direkter Kontakt trägt dazu bei, Wertschätzung für die Schönheit dieser Geschöpfe zu wecken oder zu fördern. Schließlich gilt: Was Menschen schätzen, das schützen sie auch.




Fotos (von oben): Jens F. Ehrenreich (Illustration); IMSI Masterphotos, USA (2); Paul Bauer, mit freundlicher Genehmigung Gottfried Bauer (5); IMSI Masterphotos, USA; Bildarchiv www.cruise-consultant.de (2); IMSI Masterphotos, USA