Home Geschichte Spezial Download Thema Walfang Kontakt
Jonas Blondal - Titel
 


[ Text als PDF downloaden ]

 

Die Geschichte ›Jónas Blondal‹ als Comic zu bezeichnen, ist eigentlich nicht ganz richtig. „Comic” kommt von „Komödie”, doch ›Jónas Blondal‹ ist alles andere als komisch. Traurig ist diese Erzählung, ernst und mahnend. „Tragödic” wäre
an sich passender.



1. Islands Geschichte

Die Antlantik-Insel Island und ihre Bewohner bilden den geschichtlichen und kulturellen Hintergrund der Erzählung.

An der Schwelle des 20. Jahrhunderts erlebte Island eine Zeit zunehmender
Eigenständigkeit – für viele Bewohner eine positive Entwicklung nach Jahrhunderten des Leids und der Unterdrückung. Tatsächlich lagen düstere Zeiten hinter den Isländern.
1387 der dänischen Krone unterstellt, litt die Insel zunehmend unter seiner politischen Abhängigkeit. Ohne eigene Handelsflotte und in seiner geografischen Abgeschiedenheit der Willkür dänischer Kaufleute ausgesetzt, bewirkte das königliche Handelsmonopol schlechteste Wirtschaftsbedingungen für die Isländer.
Zwar brachten Geschäftsverbindungen zu England und der Hanse vorübergehend Linderung, doch mit der völligen Durchsetzung der dänischen Wirtschaftsbeschränkung im Jahre 1622 verschlechterte sich die Situation wieder dramatisch: Ausbeutung, Skrupellosigkeit und die Unterversorgung der Bevölkerung führte gar zum Hungertod von mehr als 1000 Menschen in den Jahren 1755 und 1756.

Doch damit nicht genug. In der Geschichte Islands forderten auch Katastrophen anderer Art immer wieder unzählige Opfer. Nur wenige Jahrzehnte nach dem Ausbruch der Pocken im Jahre 1347 wütete zwischen 1402 und 1404 die Pest, an der 40 000 bis 50 000 Menschen starben – nicht weniger als zwei Drittel der gesamten Bevölkerung. Strenge Winter und Vulkanausbrüche forderten ebenso ihren Tribut an Menschenleben wie wiederholte Überfälle fremder Seefahrer.

Mit den aufkommenden Bemühungen um die Unabhängigkeit Islands gegen Mitte des 19. Jahrhunderts besserte sich die Lage zusehends. Einer der wichtigsten Vorreiter in diesem Kampf war der zumeist in Dänemark lebende Jón Sigurðsson. 1874 schließlich stimmte das Althing, die Volksversammlung Islands, einer Verfassung zu, die den Isländern mehr Selbstbestimmung zubilligte. Die endgültige Unabhängigkeit als demokratische Republik erlangte Island am 17. Juni 1944.


2. Die Handlung 

Es ist das Jahr 1894. Ort des Geschehens ist Reykjavík, zur damaligen Zeit eine Stadt mit knapp 5800 Einwohnern. In der Eiríksgata, unweit des Hafens, lebt die Familie Blondal, Nachkommen norwegischer Einwanderer.

Amalie und Ivar Blondal hatten ursprünglich drei Söhne: Sigurð, Grímur und Jónas. Zu Beginn der Geschichte sind jedoch zwei von ihnen bereits tot. Sigurð, ältester Sohn, war 1881, im Alter von acht Jahren, bei einem Bootsunglück ertrunken. Grímur, Zweitältester, erlag im jungen Alter von 15 Jahren einer schweren Krankheit. Mit seinem Begräbnis beginnt die Story. Jónas, 1882 geboren und zu diesem Zeitpunkt gerade zwölf Jahre alt, ist damit das einzige Kind, das den Blondals verbleibt.

Unmittelbar nach dem Begräbnis, während die Trauergemeinde Leichenschmaus hält, entbrennt ein heftiger Streit zwischen den Eheleuten. Zankapfel ist niemand anders als Sohn Jónas: Ivar Blondal, seit vielen Jahren erfahrener Walfänger, äußert an jenem Abend erstmals den Wunsch, wenigstens einen seiner Söhne in sein Handwerk einzuführen. So will es die Tradition – selbst, wenn mittlerweile nur noch der jüngste Sohn dafür in Frage kommt. Ivar ist bewusst, dass Jónas eigentlich noch nicht das geeignete Alter hat. Dennoch plant er, ihn bereits auf die nächste Fahrt mitzunehmen.
Natürlich ist Jónas von der Idee seines Vaters begeistert. Seine Mutter aber protestiert. Verantwortungslosigkeit wirft sie ihrem Mann vor – und Gleichgültigkeit. Niemals würde sie auch noch ihren letzten Sohn unnötigen Gefahren aussetzen. Doch wenngleich sie sich wehrt, gelingt es ihr nicht, Ivar umzustimmen.

Wie beschlossen, erscheinen Vater und Sohn schließlich am 5. Juni 1894 bei der örtlichen Heuerstelle in der Vesturgata. Auch hier zeigt sich Ivar Blondal weiter unbeeindruckt, als der Sachbearbeiter Bedenken gegen das Vorhaben mit dem Zwölfjährigen vorbringt. Wie geplant, lassen sich Ivar und Jónas für die ›Eiríkur Rauði‹ einschreiben, einen in Reykjavík stationierten Walfänger, der unter norwegischer Flagge fährt.

13. Juli 1894: Der Tag der Abfahrt ist herbeigekommen. Jónas bekommt schnell einfache Arbeiten an Bord zugewiesen, und so vergeht die erste Zeit, ohne dass etwas Außergewöhnliches geschieht.
Bereits nach drei Tagen trifft die ›Eiríkur Rauði‹ auf eine Walschule. Nun erlebt Jónas zum ersten Mal selbst, was er bis dahin nur aus den packenden Erzählungen seines Vaters kannte: das Fangen und Verarbeiten eines Wals. Abenteuer pur – das jedenfalls hatte er sich bis zu diesem Tag darunter vorgestellt. Doch seine kindlichen Vorstellungen haben nichts mit der rauen Wirklichkeit dieses Berufs zu tun. Überall Blut, schreiende Männer und ein Ekel erregender Gestank. Solche Szenen erlebt Jónas in den folgenden Tagen wiederholt, doch gewöhnen kann er sich nicht daran. Im Gegenteil: Mit jedem weiteren „Fangerfolg”, wächst seine Abneigung gegen die Geschehnisse an Bord. Die Begeisterung weicht der Nachdenklichkeit, die Abenteuerlust dem Mitleid mit den wehrlosen Geschöpfen.

 

Das Ende

Magnus Hasund, dem Kommandanten der ›Eiríkur Rauði‹, entgeht es nicht, dass sich Jónas unter den Gegebenheiten an Deck zunehmend unwohl fühlt. Gedankenversunken, fast teilnahmslos steht der Junge immer öfter an der Reling und spricht mit seinem „Freund” ›Finn‹, einem Buckelwal-Kalb, das das Schiff seit der Tötung der Mutterkuh unaufhörlich begleitet. Um ihn etwas abzulenken, sorgt Kommandant Hasund schließlich dafür, dass Jónas Arbeit unter Deck bekommt. Dort unten, in den schlecht beleuchteten Räumen, entdeckt er noch am selben Tag ein Beil, das er heimlich mit in seine Kabine nimmt.

Was Jónas mit dieser „Waffe” vorhat, wird kurz darauf klar: In der Vollmondnacht vom 16. auf den 17. August verlässt er unbemerkt seine Kabine und schleicht zum Bug des Schiffes. Dort, bei den Gerätetruhen angekommen, versucht er, seine kindlichen Vorstellungen von Sabotage in die Tat umzusetzen. In seiner Naivität meint er, die Wale retten zu können, indem er das Fanggerät zerstört. Seine Kraft reicht jedoch nicht einmal aus, die Harpunen auch nur zu bewegen. In seiner Wut und Enttäuschung wendet er sich daraufhin den Fangseilrollen zu und schlägt mit dem Beil zwei Harpunenleinen – kaum sichtbar – an ihrer Verankerung durch. Eine Verzweiflungstat ohne wirklichen Effekt ... wie man denken mag.
Als am darauf folgenden Morgen Wale gesichtet werden, trifft die Besatzung trotz aufziehenden Unwetters Vorbereitungen für den Fang. Darüber, wer an die Harpune geht, entscheidet an diesem Tag das Los. Und das fällt auf Ivar Blondal. Währenddessen wird das Wetter immer schlechter und die See rau. Jónas steht, von Übelkeit geplagt, an der Reling. Als die Männer ihn sehen, fordern sie ihn aus Sicherheitsgründen auf, wieder ins Bootshaus zu gehen. Dabei stolpert er jedoch über ein Tau und fällt, an einem Poller vorbei, über Bord. Keiner der Seeleute bemerkt den Unfall, und die Hilferufe verhallen im Wind. Doch glücklicherweise ist das Walkalb ›Finn‹ in der Nähe, und es gelingt Jónas, sich an der Rückenfinne des Tiers festzuhalten.

An diesem Punkt angekommen, nimmt ein übles Schicksal seinen Lauf: Während sich Jónas in Todesangst an das Waljunge klammert und um sein Leben ringt, nehmen Ivar Blondal und dessen assistierender Seemann Halldór Kvalstad verschiedene Wale ins Visier. Wegen des starken Wellengangs verpassen sie aber wiederholt günstige Schussgelegenheiten.

Schließlich fällt der Schuss, doch er verfehlt sein Ziel und trifft ins Wasser.

Als sich das Harpunenseil plötzlich, wie von Geisterhand, zu spannen und abzurollen beginnt, schauen die verwunderten Männer durch das Fernglas. Was sie sehen, ist ein Anblick des Grauens:

Ivar Blondal hat seinen eigenen Sohn erschossen. Verbunden durch eine Harpune, stirbt Jónas zusammen mit seinem „Freund” ›Finn‹.

Regungslos, starr vor Entsetzen, fast unfähig, sich zu bewegen, stehen die Männer an Deck. In dieser lähmenden Fassungslosigkeit bemerken sie zu spät, dass sich das Fangseil gänzlich abrollt und dessen Ende, über mehrere Führungsrollen hinweg, von Bord fällt – Jónas selbst hatte es in der Nacht zuvor durchgeschlagen.


3. „Dies ist eine Geschichte ohne Happy End.”

Mit diesen Worten beginnt der Comic. Und entsprechend endet er. ›Jónas Blondal‹ ist eben nicht nur eine Geschichte über einen isländischen Jungen. Es ist eine Geschichte über den Walfang und über die ethischen Fragen, die er aufwirft. Einer so ernsten Thematik gewidmet, kann und muss diese Erzählung nicht erheiternd sein.

Es ist sicher wahr: Eine Story ohne guten Ausgang richtet sich nicht nach einem der gängigsten Erfolgsrezepte. Für Geschichten mit reinem Unterhaltungscharakter mag ein trauriges Ende auch tatsächlich abträglich sein. Kommt dagegen eine dokumentarische Note hinzu, wird die Botschaft dadurch eher noch unterstrichen – erfolgreiche Geschichten wie ›Das Boot‹ (verfilmt 1981, nach einem Roman von Lothar-Günther Buchheim) oder ›Zeit des Erwachens‹ (nach dem gleichnamigen Roman von Oliver Sacks, verfilmt 1990) zeigen dies ebenso deutlich wie ›Rain Man‹ (geschrieben von Ronald Bass und Barry Morrow, verfilmt 1988) oder ›Der Sturm‹ (Roman von Sebastian Junger, 2000 als Film erschienen).

›Jónas Blondal‹ hat eine dokumentarische Note. Ob diese Story ohne Happy End bestehen kann, bleibt die Entscheidung ihrer Leser. Natürlich hinterlässt ein tragisches Finale oft das unbefriedigende Gefühl der Hilflosigkeit und Enttäuschung. Dennoch: Tiefgründige Geschichten beeinflussen das Denken meist nachhaltiger als Unterhaltung der trivialeren Art. ›Jónas Blondal‹ will zum Nachdenken anregen. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema Walfang hat Ernsthaftigkeit verdient (siehe hierzu auch unter über die GeschichteBotschaft des Comics).

+++

Der Comic ›Jónas Blondal‹ ist während eines Zeitraums von rund acht Jahren entstanden und umfasst 301 voll illustrierte Bilder auf 52 Seiten. Story, Bild, Text und Lettering stammen aus einer Hand.

 

Themen-Index
Hier gelangen Sie direkt zu den folgenden Unterthemen:
  2. Die Handlung  
  3. Eine Story ohne Happy End  
   
 


Island:
Die Atlantikinsel am
nördlichen Polarkreis war jahrhundertelang Schauplatz verheerender Katastrophen

 
 

Als Jónas erfährt, dass er seinen Vater auf die nächste Fangtour begleiten darf, ist die Freude groß

 
 

 

 
 

Am 13. Juli 1894 geht Jónas zusammen mit seinem Vater Ivar Blondal an Bord des Walfängers ›Eiríkur Rauði‹

 
 


Die Abenteuerlust
weicht zunehmend der Nachdenklichkeit. Ivar Blondal versucht, seinen Sohn in Gesprächen zu beruhigen.

 
 

Die Gerätetruhen: Jónas versucht in kindlicher Naivität, den Fangbetrieb an Bord zu sabotieren

 
 


Ein Kaperwal
ist entdeckt worden und wird ins Visier genommen

 
 

Die ›Eiríkur Rauði‹ auf dem
Rückweg in ihren Heimathafen
Reykjavik auf Island